«Ich habe gefragt, ob ich während des Betens rauchen darf!»
Ein Indianer, der in einem Reservat weit von der nächsten Stadt entfernt wohnte, besuchte das erste Mal seinen weissen Bruder in der grossen Metropole. Er war sehr verwirrt vom vielen Lärm, von der Hektik und vom Gestank in den Strassenschluchten. Als sie nun durch die Einkaufsstrasse mit den grossen Schaufenstern spazierten, blieb der Indianer plötzlich stehen und horchte auf. «Was hast du», fragte ihn sein Freund. «Ich höre irgendwo eine Grille zirpen», antwortete der Indianer. «Das ist unmöglich», lachte der Weisse. «Erstens gibt es hier in der Stadt keine Grillen und zweitens würde ihr Geräusch in diesem Lärm untergehen.» Der Indianer liess sich jedoch nicht beirren und folgte dem Zirpen.

Sie kamen zu einem älteren Haus, dessen Wand ganz mit Efeu überwachsen war. Der Indianer teilte die Blätter und tatsächlich: Da sass eine grosse Grille. «Ihr Indianer habt eben einfach ein viel besseres Gehör», sagte der Weisse im Weitergehen. «Unsinn«, erwiderte sein Freund vom Land. «Ich werde Dir das Gegenteil beweisen». Er nahm eine kleine Münze aus seiner Tasche und warf sie auf den Boden. Ein leises «Pling» liess sich vernehmen. Selbst einige Passanten, die mehr als zehn Meter entfernt standen, drehten sich augenblicklich um und schauten in die Richtung, aus der sie das Geräusch gehört hatten. «Siehst Du mein Freund, es liegt nicht am Gehör. Was wir wahrnehmen können oder nicht, liegt ausschliesslich an der Richtung unserer Aufmerksamkeit.»

Autor: Gerhard Reichel
Buch: „Der Indianer & die Grille“